Vortrag mit Fotos von Dr. Gabriele Fritsch-Vivié (Berlin)
03. November 2016
Auslandsgesellschaft NRW e.V. - 19.00 Uhr
Steinstr. 48, Dortmund
Jüdische Deutsche, ausgeschlossen aus dem deutschen Kultur- und Gesellschaftsleben, entwickelten im Frühsommer 1933 ein eigenes vielfältiges Kulturleben: den „Jüdischen Kulturbund“.
Von Berlin ausgehend gab es bald schon deutschlandweit Jüdische Kulturbünde. Musik, Sprechtheater, Rezitationen, Ausstellungen, Filme wurden angeboten.
Für mehr als 70.000 Zuschauer insgesamt beschäftigte der Kulturbund, mit Hauptsitz in Berlin, in den acht Jahren seiner Existenz über 2000 Menschen und wurde so zu einer „sozialen Institution“. Zwar hatten Kontrolle und Zensur der Nazis Einfluss auf das Programm, doch mit dem starken Zuspruch des jüdischen Publikums erkämpfte sich der Kulturbund unter dem totalitären Regime ein Stück Menschenwürde und innere Freiheit und wurde so zu einem leisen, aber unentbehrlichen „kulturellen Widerstand“. Wir erleben auch heute, wie wichtig die Kunst gerade in so gefährlicher Situation werden kann.
Als Intendant 1933 entlassen, gründete und leitete Kurt Singer den Jüdischen Kulturbund und versuchte 1938 in Amerika, mit Hilfe von Sponsoren den Kulturbund dorthin zu transferieren. Auf die Nachricht von den Pogromen in Deutschland, reiste er sofort zurück, konnte jedoch nicht nach Berlin weiterreisen, wurde in Amsterdam verhaftet und in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er 1944 an den Haftbedingungen starb.
Die Referentin lebt als Journalistin und Autorin freischaffend in Berlin. Neben der Forschung zum Jüdischen Kulturbund hat sie Biographien geschrieben über die jüdische Dichterin Nelly Sachs und über die große Tänzerin des Expressionismus, Mary Wigman.
In Kooperation: Volkshochschule, Auslandsgesellschaft NRW e.V., Mahn- und Gedenkstätte Steinwache, TU Dortmund - Fakultät Kulturwissenschaften der Technischen Universität
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Der Schriftsteller und Dramaturg des Kulturbunds, Leo Hirsch, schrieb im letzten jüdischen Nachrichtenblatt 1939 dem verzweifelten Publikum ein Plädoyer für die Kultur:
»Es geht nicht ohne Kultur, ob man sich die innere Ruhe dazu verschafft oder nicht . . . , man muss sehen, man muss hören, man muss lesen, man braucht geistige Selbsterhaltung, man hat seelische Anregung nötig, man braucht ein Mindestmaß an innerer Erfüllung, man braucht Bücher, Theater, Musik, Kunst, Belehrung, Film, Unterhaltung. Man braucht es als ein gemeinschaftliches Erlebnis, man kann nicht einfach Jahrhunderte seiner eigenen Entwicklung aus sich selbst weglassen. Man kann sich nicht innerlich tot stellen. Selbst wenn man schwer arbeitet, schwerer als man es gewohnt war, oder auf die noch schwerere Arbeit des Nichtstuns angewiesen ist, von Schlafen, Essen und Affidavit allein zu leben, bedeutet, dass man sich verloren gibt. Es geht nicht ohne Kultur.«
Der Schriftsteller und Flüchtling Ernst Toller:
„Alle Kunst hat magische Wirkung . . . Kunst erreicht mehr als den Verstand, sie verankert sein Gefühl. Kunst gehört zu jenen seltenen geistigen Mitteln, verschüttete Instinkte zu erhellen, tapfere Haltungen zu schulen, spontanes Gefühl für Menschlichkeit, Freiheit und Schönheit zu vertiefen.“